FORMEN VON
RASSISMUS

Als rassistische Diskriminierung wird jede Praxis bezeichnet, die Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale (wie Körperform, Name, Sprache, etc.) Rechte vorenthält, das heißt, sie ungerecht behandelt, demütigt, beleidigt, bedroht oder an Leib und Leben gefährdet.

Wenn wir von Rassismus sprechen, meinen wir alle rassistischen Diskriminierungen und wie sie auf die Person oder Gruppe wirken. Entscheidend ist nicht die Absicht einer Handlung oder Aussage, sondern, wie sie wirkt. Rassistische Behandlung erleben Menschen aufgrund rassifizierter äußerlicher Merkmale.

Um über Rassismus sprechen zu können, ist es wichtig zu verstehen:
Es gibt keine Menschenrassen. Das Konzept der Menschenrassen respektive Rassifizierung diente jedoch dazu, eine Hierarchie zwischen Menschengruppen zu etablieren. All diese gelernten rassistischen Vorannahmen werten Menschen ab und entmenschlichen sie bis heute. Wie sich die Erfahrungen auf die Einzelnen auswirken, ist verschieden – es gibt nicht die eine Rassismuserfahrung. Hinzu kommt, dass sich Rassismuserfahrungen mit anderen sozialen Positionen intersektional überlagern und die Lebensgestaltungsmöglichkeiten entsprechend verschieden prägen.

Mit dem Begriff «Rassismus» werden verschiedene Formen explizit benannt und analysiert, um die spezifischen Formen und Ausprägungen in den Blick nehmen und die spezifischen Auswirkungen auch erfassen zu können. Allen gemeinsam ist die systematische rassistische Benachteiligung.

Im Folgenden stellen wir einige vor. Sie sind alphabetisch geordnet. Dieses Kapitel basiert auf den Gedanken vieler. Das ausführliche Quellenverzeichnis und das Netzwerk an Fachleuten sind im zugehörigen Buch aufgeführt.

Welche spezifischen Formen von Rassismus kennen wir?

 
  • Bei anti-Asiatischem Rassismus handelt es sich um eine spezifische Diskriminierung von als ost- und südostasiatisch gelesenen Menschen. Das heißt, nicht alle Menschen mit einem familiären asiatischen Bezug machen diese spezifische Rassismuserfahrung. Dennoch reproduziert sie bereits wieder rassistische Stereotype, indem eine normierte Vorstellung von «richtigen» Asiat*innen bedient wird.

    Asiatisch gelesene Menschen sind in widersprüchlicher Weise von Rassismus betroffen. Einerseits werden sie vielfach als «Vorzeigemigrant*innen» beschrieben und gegen andere (post-)migrantische Gruppen ausgespielt; andererseits werden sie als homogene Masse dargestellt und erleben unter anderem vorurteilsbehaftete Zuschreibungen von intellektuellen Fähigkeiten, von denen eine Gefahr für die weiße Mehrheitsgesellschaft ausgehe.

    Wie jeder Rassismus umfasst auch der anti-Asiatische Rassismus unterschiedliche Formen von Gewalt. Sie reicht von verbalen Mikroaggressionen über strukturelle Diskriminierung bis hin zu körperlichen Angriffen und Morden.
    Während der Coronapandemie zeigten Umfragen in Deutschland, dass jede zweite befragte Person, die asiatisch gelesen wird, Rassismus erlebte. Daten für die Schweiz liegen aktuell keine vor, Berichten von Personen of Asian Descent zufolge ist anti-Asiatischer Rassismus aber auch in der Schweiz ein Problem.

  • Unter Anti-Balkanismus verstehen wir eine feindliche oder ablehnende Haltung gegenüber Menschen aus der Balkanregion beziehungsweise aus Südosteuropa, die strukturell verankert ist oder gefestigt wird. In der Schweiz wohnen viele Menschen, die selbst oder deren Vorfahren aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, dem Kosovo, aus Kroatien, Nordmazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien, Slowenien und der Türkei migriert sind. Diese Menschen haben verschiedene natio-ethno-kulturelle und religiöse Zugehörigkeiten, welche oftmals stereotypisierend zusammengefasst und abgewertet werden.

    Seit der europäischen Aufklärung ist (Süd-)Osteuropa aus westlicher Sicht als Ort der Rückständigkeit konstruiert worden. Die Rassifizierung von Menschen aus (Süd-)Osteuropa geschieht oft aufgrund von Namen, Sprache oder Akzent. Auch körperliche «Eigenschaften» werden gerne als «typische» Erkennungsmerkmale hervorgehoben oder Verhaltensweisen typisiert und mit einer vermeintlich unveränderbaren, spezifischen «Kultur» in Bezug gebracht.

    Der Anti-Balkanismus ist unter anderem eine Form des Orientalismus und somit oft mit anti-muslimischem Rassismus gepaart – auch wenn nur ein Teil der Menschen mit Herkunftsbezug zum Balkan religiös dem Islam zugehört. Das Konstrukt des Orientalismus und Anti-Balkanismus zeichnet hierzu Bilder der Exotisierung, Romantisierung und Abwertung des Balkans. Ein Symptom davon ist der Begriff «Balkanisierung» als Synonym für Konflikte und Chaos.

    Der anti-Slawische Rassismus gegen Menschen aus (Süd-)Osteuropa hat mit rassistischen Vorurteilen gegenüber Slaw*innen zu tun – auch wenn nur ein Teil der Menschen mit Herkunftsbezug zu (Süd-)Osteuropa Slaw*innen sind. Slaw*innen sollten der NS-Ideologie zufolge eine minderwertige «Rasse» sein und der (Süd-)Osten wurde als vermeintlich rückständiger, barbarischer Raum dargestellt. Der deutsche Nationalsozialismus verfolgte die Vision der Germanisierung (Süd-)Osteuropas. Das führte in letzter Konsequenz dazu, dass Nationalsozialist*innen einen brutalen, rassistisch motivierten Eroberungs- und Vernichtungskrieg zur Kolonisierung und Unterwerfung der slawischen Bevölkerung führten. Anti-Slawischer Rassismus führte im nationalsozialistischen Kontext zu vielen Ermordungen und war genozidal gedacht.

    Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen im (Süd-)Osten Europas verläuft noch immer schleppend. Seit den 2000er-Jahren wurden erste Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter*innen aus (Süd-)Osteuropa getätigt.

    Der Rassismus gegen Menschen aus (Süd-)Osteuropa wird meist nicht differenziert geäußert, sondern zeigt sich überlagernd in einer Vermengung von Anti-Slawismus und Anti-Balkanismus.

  • Der Begriff «anti-Muslimischer Rassismus» drückt eine ablehnende Haltung und Einstellung gegenüber Menschen aus, die sich als Muslim*innen bezeichnen oder als Muslim*innen gelesen werden. Diese Gruppe von Menschen gehört in der Schweiz seit 9/11 zu jenen, die in der Öffentlichkeit zu einer Bedrohung erklärt werden. Sie sind zunehmend und starken Diskriminierungen ausgesetzt. Wie der Name sagt, wird die Ablehnung von Muslim*innen als Form von Rassismus verstanden. Wie alle rassistischen Diskriminierungen reicht auch anti-Muslimischer Rassismus von rassistischen Diskriminierungen im Bildungsbereich, im Arbeitsleben oder bei Einbürgerungen bis hin zu gewalttätigen Angriffen. In diesem Fall sind es Angriffe auf muslimisch gelesene Personen sowie Anschläge auf Moscheen oder islamische Zentren.

    Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) spricht von «Muslimfeindlichkeit», da der Begriff der «Islamophobie» den Hauptakzent auf der die emotionsgeladene Abneigung des Islam als Religion setzt.

    Mit der Bezeichnung «anti-Muslimischer Rassismus» werden aber nicht nur die Abwertungen durch einzelne Menschen in den Blick genommen, sondern auch historische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Der Begriff «anti-Muslimischer Rassismus» setzt somit früher an: an ein Selbstbild der Schweiz als christlich oder christlich-säkular, in dem muslimisch gelesene Personen zu Anderen gemacht werden, was als Gegensatz zum Schweizer*insein steht.

  • Dieser Begriff drückt eine ablehnende Haltung oder Einstellung gegenüber Menschen aus, die sich als jüdisch bezeichnen oder als solche wahrgenommen werden.

    Antisemitismus manifestiert sich in feindseligen Überzeugungen, Vorurteilen oder Stereotypen, die sich – deutlich oder diffus – in der Gesellschaft oder in Einzelhandlungen zeigen. Diese bewirken, dass jüdisch gelesene Personen beleidigt, herabgesetzt, ausgegrenzt, benachteiligt oder als grundsätzlich «anders» betrachtet werden. Eine solche Gewalt erleben nicht nur Menschen, auch jüdische Organisationen und ihre Infrastruktur sind von antisemitischer Gewalt betroffen.

    Ausprägungen von Antisemitismus sind beispielsweise Vorstellungen einer «jüdischen Weltverschwörung» oder «jüdische Menschen» als Sündenböcke für soziale, politische und gesellschaftliche Übel zu sehen. Antisemitisches Gedankengut scheint sich unabhängig vom realen Kontext mit neuen Bildern und Argumenten zu füllen und wird für die eigenen Zwecke instrumentalisiert und missbraucht. Antisemitismus hat eine Ventilfunktion für Frustrationen, diffuse Ängste und Aggressionen.

    In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Wortschöpfung «Antisemitismus» drückt sich eine veränderte Auffassung gegenüber jüdischen Menschen aus. Sie wurden nicht mehr primär über ihre Religion definiert, sondern als Volk, Nation oder «Rasse». Um den Rassismus gegenüber jüdisch gelesenen Personen zu erfassen, muss zwischen verschiedenen Erscheinungsformen wie zum Beispiel völkischem, latentem oder antizionistischem Antisemitismus unterschieden werden.

  • Beim anti-Schwarzen Rassismus handelt es sich um eine feindliche Einstellung oder eine abwertende Haltung gegenüber Menschen of African Descent. Mit dem physischen Merkmal der Hautfarbe und weiteren phänotypischen Merkmalen werden diverse negative Stereotype verknüpft.

    Anti-Schwarzer Rassismus ist geprägt von der Annahme einer fundamentalen Ungleichheit zwischen Schwarzen Menschen und Weißen, die unweigerlich zu Abwertung führt, auch wenn keine per se «feindliche» Einstellung vorhanden ist. Anti-Schwarzer Rassismus tritt auch in Form von eigentlich gut gemeintem Handeln in Erscheinung, denken wir zum Beispiel an die stereotypisierenden Bilder von NGO-Werbung.

    Anti-Schwarzer Rassismus wurde im christlichen Europa religiös begründet und mit einer Weltsicht verbunden, die Schwarz mit Negativität, Bedrohung und Tod verband und Weiß mit Positivität, Leben und Reinheit. In der Zeit der Aufklärung und im Kontext der aufkommenden Rassentheorie wurden diese Annahmen wieder aufgenommen und verstärkt. Mit der imperialen und kolonialen Expansion Europas wurde diese Weltsicht in die ganze Welt exportiert. Dies führte zu historischen Gewalttaten, die bis heute wirksam sind: Unterwerfung, Ausbeutung, Versklavung und Entmenschlichung von Millionen von Menschen, sowie zu Kolonialismus als dominantem politischem Herrschaftssystem. Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen stand im Zentrum der Ausprägung der rassistischen Ideologie im 17. und 18. Jahrhundert und diente dazu, Herrschaftssysteme zu installieren oder zu verteidigen.

    Aktuelle Formen und Ausprägungen des Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen reichen von Alltagsrassismus über strukturellen Rassismus bis hin zu tödlicher Gewalt – auch in der Schweiz verlieren jährlich Schwarze Menschen ihr Leben aufgrund von Rassismus. Von Racial Profiling wird gesprochen, wenn eine Person ohne konkretes Verdachtsmoment, zum Beispiel einzig aufgrund der Hautfarbe, von Polizei-, Sicherheits- oder Zollbeamt*innen kontrolliert wird.

    Anti-Schwarzer Rassismus wird allzu oft verharmlost oder auf die Empfindlichkeit der betroffenen Personen zurückgeführt. Dies entspringt direkt rassistischen Stereotypen gegenüber Menschen of African Descent.

  • Mit diesen Begriffen wird die Feindlichkeit gegenüber Sinti*zze und Rom*nja sowie Jenischen benannt. Darunter wird die von Stereotypen, Abneigung und Feindschaft geprägte Einstellung und Verhaltensweise gegen diese Personen verstanden. Die Lebensweise wird auch heute nicht gänzlich verstanden, was sich immer wieder in Misstrauen und Diskriminierung niederschlägt. Dies kann wiederum zu häufig prekären Lebensumständen vor allem von Sinti*zze und Rom*nja führen.

    Sowohl fahrende als auch sesshafte Angehörige der Jenischen, Sinti*zze oder Rom*nja sind Formen der Diskriminierung ausgesetzt, welche von verbalen Attacken oder Beschimpfungen bis hin zu tätlichen Übergriffen reichen. Besonders auch durch staatliche Ungleichbehandlung erleben sie immer wieder rassistische Diskriminierung. In der Schweiz sind Jenische und Sinti*zze als nationale Minderheit anerkannt, Rom*nja jedoch nicht. Das schafft eine weitere illegitime Ungleichbehandlung. Dies zeigt sich auch darin, dass die Geschichte der Schweiz im Umgang mit den genannten Communities wenig reflektiert und in der Schule nicht gelehrt wird. Diesen Umstand kritisierte auch der Europarat gegenüber der Schweiz und anderen Staaten.

    Es kann auch als rassistische Praxis verstanden werden, die verschiedenen Communities mit einem Dachbegriff bezeichnen zu wollen. Es gilt entsprechend zu lernen, die jeweilige Gemeinschaft direkt zu benennen oder alle aufzuzählen und den Zi-Begriff zu vermeiden. Deshalb nennen auch einige Sinti*zze- und Rom*nja-Aktivist*innen diese Form rassistischer Feindlichkeit Gadjé-Rassismus, um den Zi-Begriff nicht wieder zu reproduzieren. Eine Ausnahme bilden einzelne jenische Communities, die sich den Zi-Begriff als Eigenbezeichnung aneignen.

    Gadjé-Rassismus ist ein Begriff, den Sinti*zze- und Rom*nja-Aktivist*innen und -Wissenschaftler*innen vorgeschlagen haben, um die Bezeichnung «Antiziganismus» zu ersetzen. Er hat unter anderem den Vorteil, dass dabei nicht von einer einheitlichen Gruppe von Betroffenen ausgegangen wird. Im Gegensatz zum Antiziganismus wird mithilfe des Begriffs Gadjé-Rassismus der Blick auf die Mehrheitsgesellschaft – eben die Gadjé – gerichtet und auf die Funktionen, welche Gadjé-Rassismus für sie erfüllt, indem sie durch ihren Rassismus sich selbst ermächtigen und emporheben kann.

  • Diese Form des Rassismus wird in Europa und vor allem in den deutschsprachigen Ländern wenig diskutiert, obwohl wir auch in Europa Indigene Nationen oder Peoples kennen, wie zum Beispiel die Inuit Peoples in Kalaallit Nunaat (Grönland), die Sámi im Norden des europäischen Kontinents und je nach Definition auch verschiedene Nationen in als Russland bekanntem Gebiet. Durch Migrationsbewegungen leben heute auch Indigene Menschen aus Süd- und Nordamerika, Asien und Afrika in Europa. Sie alle teilen verschiedene historische und aktuelle rassifizierte Stigmatisierungen und Ausgrenzungen aufgrund kolonial-rassistischer Gewalt seitens weißer Personen Europas. Dies prägt die Position Indigener Menschen bis heute.

    Die UNO hat bereits 1982 eine Definition formuliert, in der sie Indigene Völker als Nachfahren der Völker beschreibt, die das heutige Territorium auch schon zu jener Zeit ganz oder teilweise bewohnten, als Menschen aus anderen Teilen der Welt dort ankamen und die ansässigen Völker unterwarfen und durch Eroberung, Besiedlung oder andere Mittel in eine untergeordnete oder in koloniale Situationen versetzten.

    In der oft gebrauchten Abkürzung «BIPoC», also Black, Indigenous und People of Color, sind Indigene Menschen explizit erwähnt. Rassistische Fremdbezeichnungen für Indigene Menschen, wie zum Beispiel das In-Wort, sollen nicht mehr verwendet werden. Die jeweilige Eigenbezeichnung oder zur Not der Begriff Indigene Nationen oder Personen können stattdessen verwendet werden.